LEK mich am ...

Saranda, Albanien, April

Es regnet an der Albanischen Riviera. Nachdem wir die letzten Tage, bis zu unserem Ausflug nach Gjipe Beach, mit viel Sonne und überdurchschnittlichen Temperaturen verwöhnt worden waren, war der nun beständig auf den Bus niederprasselnde Regen zunächst eine willkommene Abwechslung. Wir nutzten die kühleren Tage zum Arbeiten und ich vertiefte mich vollständig in die Recherche für die Titelstory, die ich in ein paar Tagen abgeben soll. Mittlerweile haben wir jedoch eine Lektion gelernt: Man kann in einem VW-Bus zwar arbeiten (vorausgesetzt, er verfügt über eine gewisse Grundausstattung), ehrlicherweise aber nicht lang. Ein Achtstundenarbeitstag in Kombination mit dem Alltag zweier Reisender erfordert ein nahezu herkulisches Maß an Disziplin, das wir eher selten aufbringen können, vor allem an mehreren Tagen hintereinander. Irgendwann fällt einem unweigerlich das sprichwörtliche Blechdach auf den Kopf. Spätestens dann sollte man den Laptop zuklappen und einer anderen Beschäftigung nachgehen.

Daher schlägt Mathias beim Frühstück im Bus vor, den heutigen Tag zum Maintenance-Tag zu erklären. Zu einem Tag also, an dem wir Dinge erledigen, die dringend getan werden müssen, um das Überleben von uns, dem Hund, dem Auto sowie die Weiterreise gleichermaßen zu sichern. Ein bekannter Influencer hat diese Tage mal als „Get your shit done“-Tage bezeichnet. „Ooookayyyy … wenn’s sein muss.“ Ich bin mäßig begeistert. Maintenance-Tage versprechen selten viel Spaß, meistens schlägt das Stimmungsbarometer irgendwann in den Grantbereich aus. Aber klar, das Leben ist kein Ponyhof und so weiter, ich ziehe innerlich ein Motivationskärtchen, strahle meinen Freund an und zücke einen Kugelschreiber, um die unvermeidliche Maintenance-Tag-To-do-Liste zu schreiben.

„Einkaufen, Wasser auffüllen, Müll wegbringen, Tanken …“ Eigentlich könnten wir uns diese Listen auch sparen, meist sehen sie ohnehin ziemlich gleich aus. Aber wir sind beide erklärte Listenjunkies und süchtig nach dem guten Gefühl, einen Punkt auf der To-do-Liste abhaken zu können. Wir packen also Bus, Hund und sämtlichen Kram zusammen und verlassen einen zauberhaften Stellplatz an der Steilküste, um uns wenig später im dichten Verkehr Sarandas wiederzufinden.

Was das „situationsangepasste Interpretieren der Straßenverkehrsordnung“, wie Mathias südosteuropäisches Fahrverhalten nennt, anbelangt, stellen Albanien im Allgemeinen und Saranda im Besonderen keine Ausnahme dar. Wir schlängeln und hupen uns durch eine vollgestopfte Innenstadt, die Suche nach einem Supermarkt wird zur Beziehungsprobe. Sie endet damit, dass ich in den Supermarkt flitze – in dem niemand eine Maske trägt und sich massenweise Menschen durch enge Gänge schieben – während Mathias mangels Parkplatzes immer wieder um den Block kreiselt und mich im genau richtigen Moment wieder einsammelt. Der Maintenance-Tag ist zwei Stunden alt und wir sind bereits genervt. „Nur noch schnell tanken“, sage ich und deute auf die nächstbeste Tankstelle Richtung Ortsausgang. An diesen Satz werde ich im Laufe des Tages noch häufig zurückdenken. „Nur noch schnell tanken“ – das Äquivalent zu „Ich bin gleich wieder da“ aus einem Horrorfilm.

Wenn es in Albanien eines fast genauso häufig gibt wie Bunker und Müll am Straßenrand, dann sind es Tankstellen. Eine nach der anderen reihen sie sich an den größeren Straßen und Hauptstraßen aneinander, je näher die Stadt, desto mehr Tankstellen. Der Diesel geht einem in diesem Land jedenfalls nicht so schnell aus. Vor ein paar Tagen führten wir eine nette Unterhaltung mit dem jungen Tankwart Eri, der uns bei einer gemeinsamen Cola verriet, dass in Albanien auf tausend Einwohner eine Tankstelle kommt. Das wären knapp dreitausend Tankstellen auf einer Fläche kleiner als Baden-Württemberg, wie ich schnell im Kopf überschlug.

„Die Leute versprechen sich Profit, wenn sie eine Tankstelle eröffnen“, erklärte Eri, während er zischend seine Coladose öffnete. Verständlich in einem Land, das nach wie vor unter den Nachwehen von Diktatur und Bürgerkrieg leidet und in dem junge Menschen wie Eri wenig Perspektiven haben. „Wenn ihr jemanden kennt, der mich anstellt in Deutschland – ich mache jede Arbeit“, gab er uns zum Abschied mit auf den Weg. Wie viele Menschen in den Städten, die einmal in Deutschland gearbeitet haben oder es noch vorhaben, sprach auch Eri ein wenig Deutsch. In den albanischen Bergen dagegen sind Fremdsprachenkenntnisse selten, am besten legt man sich die wichtigsten Sätze in der Landessprache zurecht und hat Spaß daran, sich die Zunge zu verknoten.

An der Tankstelle in Saranda läuft zunächst alles reibungslos. Der nette junge Tankwart – auch in Albanien ist das ein Job, der ausschließlich von Männern gemacht zu werden scheint – plaudert fröhlich, während der Diesel in unseren Bus plätschert, der Regen hat aufgehört und es verspricht nun doch ein sonniger Frühlingstag am Meer zu werden. Ich sitze entspannt auf dem Beifahrersitz, schlürfe eine Cockta und streiche die Punkte „Einkaufen“ und „Tanken“ von der To-do-Liste.

Das erste kleine Problem tritt auf, als Mathias bezahlen will. „No credit cards“, informiert ihn der junge Tankwart lächelnd. „Yes credit cards!“ Ebenso lächelnd zeigt Mathias auf das Visa-/Mastercard-Symbol an der Glastür zum Tankshop. Das wiederum veranlasst den Tankwart, nicht mehr ganz so strahlend ins Tankstelleninnere zu watscheln und wenig später mit einem Kreditkartengerät wieder herauszukommen, das er meinem Freund nun fragend unter die Nase hält. Ganz offensichtlich hat er so etwas bisher selten bis gar nicht benutzt. Fasziniert beobachte ich vom Beifahrersitz aus, wie der Tankwart umständlich den Preis von der Tanksäule abliest und ihn ins Gerät eintippt – mit der Adlertechnik: Fingerkreisen und dann ruckartig auf die richtige Taste fallen lassen – und wie Mathias danach routiniert den Bezahlvorgang abschließt. Ich sehe mich bereits auf dem Weg zum Strand … aber wieso dauert das so lang?

Draußen hat sich plötzlich eine lebhafte Diskussion entsponnen. Mein Freund deutet immer wieder auf die Tanksäule, auf den Zettel in seiner Hand und das Bezahlgerät. An Mimik und Gestik erkenne ich, dass er ziemlich aufgeregt ist. „Was ist los?“ Ich kurbele das Fenster runter, als ich sehe, dass der Tankwart in den Tankstellenshop geht und Mathias grummelnd zurückbleibt. „Der hot si um an Nuller verdoa!“, erklärt mein Freund, dialektale Eskalationsstufe neun von zehn. „Achtundachtzigtausend Lek statt achttausendachthundert hab i zohlt – und es erst nach der PIN-Eingabe g’merkt!“ „Oh!“ Mehr fällt mir in diesem Moment nicht ein. Im Kopf rechne ich nach. „Das waren dann siebenhundertfünfzig statt fünfundsiebzig Euro für die Tankfüllung?“, vergewissere ich mich entgeistert. Mathias nickt düster.

(…)